Mut zum Stillen
von Elisabeth bei ichstille.de
Am 06.April 1999 habe ich meine Söhne Marcel und Tobias geboren. Marcel ist gesund und bei Tobias wurde das Down Syndrom festgestellt. Nun war durch die Behinderung von Tobias alles anders, als mein Mann und ich es uns vorgestellt hatten. Unsere heile Welt brach erst einmal zusammen. Mein ganzes Wissen, wie ich erfolgreich stillen wollte, und das ich mir durch Lesen des Stillbuches von Hannah Lothrop angeeignet hatte, wurde durch das niedrige Geburtsgewicht unserer Söhne, unwichtig. Denn die Beiden mussten im Krankenhaus bleiben. Das einzige, was ich für sie tun konnte, war meine Milch abzupumpen, damit sie im Krankenhaus gefüttert werden konnte. Marcel trank seine Portionen meistens problemlos. Tobias war oft nach 15-20 ml völlig erschöpft und schlief ein. Am Tag konnten wir die Kinder versorgen, es war anstrengend und nervenaufreibend.
Tobias immer wieder und immer wieder wecken, dann mal wieder zu wickeln und dann immer wieder zu versuchen, ob er nicht noch ein bisschen trinken konnte. Unser Ziel war, das Tobias selbst die Milch zu sich nehmen sollte, auch wenn es mehr als eine Stunde dauerte, bis er 60 ml getrunken hatte. Sondiert ging es viel schneller, aber das sollte nicht immer sein.
Auf einmal kam meine Wille wieder zum Vorschein, beide Babys zu stillen. Obwohl es bei Tobias vergebens aussah, denn er trank noch nicht mal aus einer Flasche mit großem Loch im Sauger. Deshalb legte ich zunächst Marcel an. Im Krankenhaus war es ungemütlich, denn der Raum war klein und mit vier bis fünf Kinderbettchen einfach überfüllt. Gestresste Eltern und Schwestern drängten sich dazuwischen und wollten zu den Kindern.
Leider erhielt ich von den Schwestern hierbei keine Hilfe oder Unterstützung, weder wurde mir ein gesonderter Raum angeboten, noch half mir jemand beim Anlegen oder nahm mich mal in den Arm, um mich zu ermutigen. Im Gegenteil, es wurde mir vom Stillen abgeraten, denn die Beiden wären danach so erschöpft, dass sie hinterher nicht mal mehr ihr Flasche trinken wollten. Später wurde mir klar, dass ich in dieser Situation nur eine kleine Trinkmenge von maximal 10 ml erreichte. Enttäuscht und deprimiert legte ich Marcel nur noch ab und zu mal an, damit er wenigstens meine Nähe und das Gefühl an meiner Brust zu sein, kannte. Ich glaubte überhaupt nicht mehr daran, Tobias stillen zu können. Zum Glück gab es aber eine sehr nette Schwester, die mir Mut machte, es dennoch zu probieren. Ich war so froh, dass sie mir zuhörte und mich ermutigte. Sie erzählte mir, dass sie ein Praktikum als Laktationsberaterin machte.
Nach einem Monat kamen Marcel und Tobias endlich nach Hause. Im Abschlussgespräch ermahnte man uns noch, dass Tobias sich nicht melden würde, wenn er Hunger hätte. Deshalb müssten wir ihm die genau abgemessenen Trinkmengen zu festen Zeiten geben. Zu Hause konzentrierte ich mich zunächst darauf, Marcel zu stillen und mein Mann übernahm zuverlässig die Fläschchenfütterung von Tobias. Aber immerhin mit Muttermilch, die ich zwischendurch abpumpte. Mit Marcel klappte es zu meiner Freude erstaunlicherweise nach einer Woche so gut, dass wir bei ihm auf die Fläschchen verzichten konnten. Jetzt war mein Ergeiz geweckt. Ich begann mit Tobias regelrecht zu üben. Vor und nach dem Stillen habe ich ihn gewogen und dann die fehlende Milchmenge abgepumpt und mit dem Fläschchen nachgefüttert. Aber das Stillen war mühsam und manchmal so enttäuschend. Tobias nuckelte und leckte meist .nur an meiner Brustwarze. Wenn er zufällig etwas fester saugte, ließ er schnell los, vor allem wenn es spritzte. Immer wieder verbog er seinen kleinen Körper wie ein Fragezeichen und überstreckte sogar den Kopf und zappelte herum, er schrie und schlief erschöpft ein. Verständlich, dass er nicht viel über die Brust bekam.
Es war sehr schwierig und ich habe sehr, sehr oft geweint und ich hatte die Nase voll, Tobias anzulegen.
Aber weil Tobias aus der Flasche auch nicht besser trank, gab ich nicht auf. Nach fast vier anstrengenden und Kräfte zehrenden Wochen begann Tobias tagsüber besser zu trinken. Er lernte richtig anzusaugen während ich ihn ganz fest im Arm liegen hatte. Wie stolz war ich, dass er nun zwischen 40 - 60 ml bei mir trank. In der Nacht war das Stillen immer noch besonders anstrengend. Denn dann waren wir Beide müde und konnten uns einfach nicht konzentrieren. Tobias nuckelte, bog sich wie ein Flitzebogen und wollte einfach nicht. Dann erbarmte sich mein Mann, denn ich war entnervt und er fütterte mit dem Fläschchen.
Als Tobias 9 Wochen alt war, kamen wir unserem Stillziel plötzlich näher. Ich brauchte für mein Nervenkostüm, dass ich das Wiegen und das ewige zufüttern wegließ. Wir waren bei meinen Eltern zu Gast und Tobias bewies, dass er sehr wohl merkt, wann er Hunger hat! Er schrie nach jeder Stunde, denn länger hielt die Muttermilch nicht an, denn er trank noch nicht so viel. Aber das war nicht so wichtig, wichtig war, dass er selbst bestimmte, wann er Muttermilch bekam. Sehr glücklich legte ich ihn jedes mal an und habe von diesem Tag nicht mehr vor und nach dem Stillen gewogen. Ich habe keine weitere Milch abgepumpt und kein Fläschchen nachgefüttert. Tobias trank recht gut, wenn er hungrig war und die Nahrung selbst einforderte. Allerdings trank er im Vergleich zu Marcel viel öfter, aber je routinierter wir wurden, desto mehr trank er pro Stillmahlzeit und es hielt länger bis zur nächsten Stillmahlzeit vor. Er nahm gut zu und auch die Ärzte sind zufrieden. Inzwischen gibt es, was das Stillen anbelangt, keine Unterschiede mehr zwischen Marcel und Tobias. Ich habe nun angefangen Beikost einzuführen, bislang haben sie alle 3 bis 4 Stunden bei mir getrunken.
Mit meinem Erfahrungsbericht möchten mein Mann und ich unbedingt allen Eltern mit behinderten Kindern empfehlen, zu versuchen zu stillen und sich nicht durch Schwestern oder Ärzte oder Familienangehörigen davon abraten zu lassen. Mit anfänglichen Misserfolgen und Niederlagen müssen Sie rechnen.
Heute weiß ich, dass das Stillen hilft die "Berührungsängste" der Mutter zu Ihrem behinderten Kind abzubauen und eine eigene Nähe entwickeln zu lassen. Vor allem der Hautkontakt und diese innige Beziehung beim Stillen sind vor allem für ein behindertes Kind wichtig, fördern seine Entwicklung. Beeindruckend ist, dass Tobias über die Muttermilch viele, viele Abwehrstoffe gegen Infektionskrankheiten erhält, denn als Down-Kind ist er besonders anfällig. Aber es hält sich in Grenzen. Es sind zwei wunderbare Stillkinder, unsere Jungs.
Elisabeth und Rainer aus Aachen
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Baby mit Down-Syndrom: Von der Wichtigkeit des Stillens (ein Erfahrungsbericht)
Freitag, 14. Mai 2010
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