Filmtipp, diskriminierende Puppen und noch einmal Einleben

Samstag, 16. Januar 2010

Medienwerkstatt drehte Film über Down-Syndrom
© NÜRNBERGER NACHRICHTEN

Fast ein Jahr lang hat die Medienwerkstatt Franken an einem Film über das Leben mit Down-Syndrom gearbeitet. Er ist am Sonntag (17. Januar) um 19 Uhr auf Franken TV und um 21 Uhr auf Franken TV und Franken SAT zu sehen (Wiederholung am 31. Januar).

Vier Familien aus Mittelfranken stellt der Film vor, angefangen von einer Familie aus Uffenheim, deren Sohn erst 2009 zur Welt kam bis hin zu einer Familie aus Happurg, deren Kind nun seinen 29. Geburtstag feiern konnte - und das eine feste Stelle auf einem Bauhof hat. In Gesprächen mit Eltern, Geschwistern und Betroffenen ging Michael Aue der Frage nach, was es bedeutet, mit Down-Syndrom zu leben: Zwischen Verzweiflung, Hoffnung und Glück.




Das Baby mit schrägen Augen
Von Julia Kospach in Die Presse

Der Befund, den Johanna am dritten Lebenstag ihrer Tochter Steffi erhält, ist eindeutig: Trisomie 21. „Starr vor Schreck“ ist da Johanna, die erfolgreiche 34-jährige Architektin – und das Kind, „mit dem sie sich eben noch so verbunden gefühlt hat, liegt ihr plötzlich ganz fern, ist mit einem Mal zu einem geheimnisvollen, misstrauisch beäugten Objekt vom anderen Stern geworden, das sich, ohne zu fragen, bei ihr eingenistet hat.“ In Johanna wüten Überforderung, Angst und Hader, ihr Lebensgefährte ist keine große Hilfe: Mario weigert sich vorerst, der Diagnose zu glauben. Das Baby mit den schräg liegenden Augen wünscht Johanna sich weg. Es dauert seine Zeit, bis das „Einleben“ mit ihrem „Nichtstandardkind“, wie Johanna es bald vorzieht zu sagen, beginnt.

„Einleben“ ist auch der Titel des neuen Buchs von Ludwig Laher, in dem der oberösterreichische Schriftsteller die Geschichte von Johanna und Steffi erzählt – eine fiktive Geschichte nach dem Vorbild recherchierter Informationen über Kinder mit Downsyndrom und ihre Eltern: Es ist ein weiterer von Lahers feinen, akribisch recherchierten Dokumentarromanen über ein moralisch hoch aufgeladenes Thema, ein Terrain voller Fangschlingen, in dem jeder Satz eines Autors Gefahr läuft, in die Geiselhaft von politischer Überzeugungsarbeit, von Gutmenschentum oder Ideologie zu geraten – oder so gelesen zu werden. Unter solchen Vorzeichen im Literarischen zu bleiben, sein Sujet mit dem Tonrepertoire des Erzählers durchzukomponieren, das ist Lahers große Begabung. Darin gleicht er Erich Hackl, dem er zu Unrecht in Bekanntheit nachsteht.

2007 schrieb Laher in „Und nehmen, was kommt“ über das Leben und den schwierigen Ausstieg einer missbrauchten jungen slowakischen Romni aus der erzwungenen Prostitution und ihr Zusammenleben mit einem ehemaligen österreichischen Freier. So wie dieses Buch keine Pretty-Woman-Schnulze war, sondern ein Bericht über die Verwertung von Menschen im neuen Mitteleuropa, so ist „Einleben“ kein Buch über eine Schmerzensmutter mit behindertem Kind, sondern die Chronik eines tastenden Einlassens auf ein großes Wagnis, die Annahme eines „ungewünschten Geschenks“. Lahers Johanna ist eine selbstbewusste Frau, eine bürgerliche Intellektuelle, die alle Nuancen des öffentlichen Diskurses über Downsyndromkinder verfolgt und analysiert, sich selbst ebenso genau beobachtet wie ihre Tochter und mit ihrem Lebensgefährten hadert, der ihr in dem Maß Gluckentum vorwirft, in dem er ihr ansonsten die Pflichten des Alltags mit Steffi weitgehend überlässt. Die Beziehung scheitert – und das liegt nicht in erster Linie an den besonderen Herausforderungen, die das Leben mit Steffi für ihre Eltern mit sich bringt.

Zwischen „Staunen und Schrecken, Urteilsunmöglichkeit und Positionierungstasten“ lässt Johanna sich auf ihr Kind ein, registriert dabei auch die Kränkungen, die ihr von außen zustoßen – vom Jugendspracheschimpfwort „Mongo“ bis zu den als Anteilnahme getarnten grausamen Bemerkungen anderer Mütter im Kinderarztwartezimmer („Hat man da denn nicht rechtzeitig etwas machen können?“). In ihrem Tagebuch dokumentiert Johanna, wie sehr gerade auch „Nichtstandardmenschen“ nach den „Kriterien standardisierter Nützlichkeit“ beurteilt werden, und bemüht sich genau deswegen, von ihrer Tochter auch bei aller Förderung nicht zu viel zu verlangen. „Enttäuscht sein ist Anmaßung“ schreibt sich Johanna als Motto auf die Fahnen.

„Einleben“ ist eine Geschichte über einen vollkommenen Perspektivenwechsel, ein Buch, das einen Blick wirft in die Welt eines Kindes, in dem sich Entwicklungen langsamer und mit weniger Worten, aber darum nicht weniger einprägsam vollziehen. Ludwig Lahers Erzählstimme macht daraus Literatur.




Diskriminierendes Spielzeug
Von Andreas Zitzmann in der Frankfurter Rundschau

Die Puppe im Rollstuhl? Das Puppenkind, dessen Gesichtszüge deutlich vom Down Syndrom geprägt sind? Fehlanzeige im Kinderzimmer. Dort ist die kleine Welt von traditionellen Werten geprägt: Am Puppenherd steht die Frau, vor dem Puppenfernseher sitzt der Mann.

Die einzige dunkelhäutige Barbiepuppe trägt afrikanische Kleidung - nicht etwa das schicke Kostüm der erfolgreichen Managerin. Das bleibt den Weißen vorbehalten.

Das Hessische Puppenmuseum in Wilhelmsbad zeigt ab Februar eine Sonderausstellung, in der es um "Integration und Vielfalt" geht. Maren Raetzer, die Leiterin des Museums, will damit auch "gesellschaftlich Position beziehen". Die reale Lebenswelt entsteht auch im Kinderzimmer, dort wird auch gelernt. Und dort ist eben ein Puppenkind, dass zwei Väter als Eltern hat, bislang nicht zu finden.


Die neue Ausstellung

Sonderausstellung "Gemeinsam", vom 7. Februar bis 18. April. Weitere Informationen unter: www. hessisches-puppenmuseum.de.

Die Ausstellung gehört zu einem Veranstaltungsreigen, mit dem das Museum verstärkt auch Erwachsene ansprechen will. Es gilt einiges aufzuholen: Nachdem fast drei Jahre nur ein winzig kleines Renovierungs-Provisorium zur Verfügung stand, konnte das Haus im April vergangenen Jahres wiedereröffnet werden.

Seitdem wurden bereits 20.000 Besucher gezählt, berichtete Leiterin Raetzer am Freitag in einer Pressekonferenz. Im vergangenen Jahr konzentrierten sich die Sonderaktionen eher auf das junge Publikum, dass man so zurückgewinnen wollte. Jetzt sind "die Großen" an der Reihe.

Für sie gibt es nun auch abendliche Angebote, etwa für Schokoladen- oder Weinliebhaber. Auch will man immer wieder mal über die Puppenstube hinaus schauen und anderes Spielzeug zeigen, etwa aus Holz. Die Puppe soll allerdings ihre Vorrangstellung auf den rund 800 Quadratmeter Ausstellungsfläche behalten.

Neu ist auch, dass seit November das Museum samstags und sonntags durchgehend geöffnet ist. Und etwa ab dem Sommer sollen auch die Bauarbeiten auf dem Vorplatz ihren Abschluss finden. Besonders Busgruppen müssen derzeit längere Fußwege in Kauf nehmen. Raetzer hofft auch, dass mit der Sanierung der Säle, die ebenfalls in diesem Jahr beendet werden soll, die Attraktivität des ehemaligen Kurhauses Wilhelmsbad weiter wächst.

Hessisches Puppenmuseum, Parkpromenade 4, Hanau-Wilhelmsbad, Tel. 06181-86212. Geöffnet ist das Museum dienstags bis freitags von 10 bis 12 und von 14 bis 17 Uhr, samstags und sonntags von 10 bis 17 Uhr.

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