Bist du auf der Montessori-Schule? Was hast du denn?

Mittwoch, 26. Mai 2010

Unterschiede zählen nicht

Von Julia Steinbach
in den Westfälischen Nachrichten

Borken. Es ist 9 Uhr morgens in der Montessori-Grundschule. Für die Klasse C steht Freiarbeit auf dem Programm. Dominik (7) hat sich in eine Ecke verzogen, um in einem Buch zu schmökern. Freund Jakob kommt dazu: „Mein Vater wäre jetzt schon viel weiter, der hat das nämlich gelernt“, sagt der Acht-Jährige. „Hab ich auch“, erwidert Dominik und fügt hinzu: „Ich bin nämlich nicht in der ersten, der dritten oder vierten, sondern schon in der zweiten Klasse.“

Für Außenstehende mag diese Erklärung komisch klingen. Doch für Jakob ist sie notwendig. Denn das Wissen darum, zu welchem Jahrgang ihre Schulkameraden gehören, ist für die Montessori-Schüler nicht selbstverständlich. Zwar gibt es auch hier Klassen. Aber der Unterricht ist zum großen Teil jahrgangsübergreifend. Die vier Klassen heißen darum einfach A, B, C und D. Und das ist nicht das einzig Besondere. Die Schule arbeitet integrativ. Seit 25 Jahren lernen hier Kinder mit und ohne Förderbedarf zusammen nach den Prinzipien der Montessori-Pädagogik.

In der Klasse C haben fünf Kinder sonderpädagogischen Förderbedarf, so wie Susanne, ein Kind mit Down-Syndrom. Die Zehnjährige sitzt in einer großen Gruppe Mädchen und Jungen, lacht, redet und bastelt an einer Kette. „Die Förderkinder sind noch mehr integriert als erhofft“, sagt Dieter Neugebauer, Mitglied der Schulleitung, stolz.

Zusammen mit der Fachlehrerin für Sonderpädagogik Petra Kerßen-Müller betreut der Lehrer an diesem Morgen die Freiarbeit der bunt gemischten Klasse. Wie seine Kollegin sitzt er an einem der niedrigen Holztische. Mal steht eine ganze Traube Schüler um ihn herum, mal hat nur ein einziges Kind Erklärungsbedarf. Ermahnen muss der Pädagoge nur selten. Die Arbeitsmoral ist gut. „Viele Kinder fangen sogar schon vor Beginn des Unterrichts an zu arbeiten“, sagt Dieter Neugebauer.

Am späten Vormittag teilen sich dann die Jahrgangsstufen. Für die ersten und zweiten Jahrgänge steht fächerübergreifendes Lernen auf dem Stundenplan. Die dritten und vierten Jahrgänge teilen sich in Untergruppen auf und gehen zum Epochenunterricht. „Das bedeutet, ein bestimmtes Fach wird über mehrere Wochen unterrichtet“, erklärt Neugebauer. Bei den Drittklässlern ist Kunst dran. Lehrerin Ursula Risthaus hat ein lustiges und interessantes Thema ausgesucht: Kniepuppen-Basteln. Mit den fertigen Puppen soll die Gruppe bei der Jubiläums-Feier auftreten.

Wo es gewünscht wird, setzt Risthaus selbst die Nadel an oder gibt Tipps. Doch das meiste machen die Kinder unter sich aus. „Wenn ich nicht weiß, wie ich einen Stich machen soll, frage ich erst mal meine Freundin Zoe“, erklärt Lily (8).

Selbstständigkeit wird hier groß geschrieben, gegenseitiges Helfen sowieso. Und wo kommt Montessori-Pädagogik ins Spiel? Eigentlich überall. „Die Lehre Maria Montessoris geht vom Kind aus“, sagt Dieter Neugebauer. „Das Kind entwickelt sich und wird dabei begleitet, aber nicht fremdbestimmt.“ Damit unterscheide die Montessori-Pädagogik sich maßgeblich von anderen Lehrmethoden, bei denen von Anfang an ein Ziel vorgegeben wird.

Am Anfang habe sich das Konzept schwer getan, vor allem wegen des integrativen Ansatzes. „Viele Kinder wurden gefragt: Bist du auf der Montessori-Schule? Was hast du denn?“, sagt Neugebauer. Solche Fragen gebe es aber schon lange nicht mehr. Drittklässlerin Lily fasst das Selbstverständnis der Schüler zusammen: „Ich finde es gut, dass die Kinder mit Förderbedarf dabei sind. Die sind doch genauso wie wir.“

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