Herrlich Getue und Summen der Nachtigall

Dienstag, 12. Januar 2010

gefunden bei Kraskas Staunmeldungen
Zitate aus: Ohrenkuss

Wieder mal beziehe ich tiefere Einsichten aus meiner Lieblingszeitschrift „Ohrenkuss“. Ich habe über diese wunderbare Blatt schon 2008 auf Qype berichtet; getextet wird es von jungen Menschen mit Down-Syndrom. Angeblich sind Menschen mit dieser genetischen Besonderheit kognitiv zurückgeblieben und im sprachlichen Ausdruck behindert. Wenn man den „Ohrenkuss“ liest, zweifelt man manchmal, ob das in allen Belangen so zutrifft. Ich erliege dem poetischen Charme der Beiträge immer wieder. In der neuesten Ausgabe, die das Thema „Paradies“ behandelt, schaffen es zwei Autoren mit Trisomie 21, geschätzte 25.000 Qype-Beiträge in zehn Zeilen zusammenfassen. Glaubt Ihr nicht? Wetten das? Hier, bitte:

Nr. 1 (Text: Stefan Zajak)

„… weil ich gerne wandern gehe und da treffe ich bei der Hütte Oben alte Bekannte und dann mache ich einen schönen Radeltour. Dann fahre ich mit dem Schiffsfähre aufs Land hinaus. Und in den Hütten da habe ich ein Mittagessen verdient, dann bin ich mit der Schiffsfähre wieder zurück gefahren. 
Im Urlaub da lese ich am Strand liegend und ich geniesse das Meer das die Wellen schlägt. Und den abend den Sonnen Untergang wenn ich ein Glas Rotwein Trinke da bin ich wie im Paradies! 
Und DANN Wenn ich im Hotelzimmer schlafe da Summt die Nachtigall.“

Nr. 2 (Text: Lars Breidenbach)

„Sonnenuntergang im Meer, schöne Vogelgefischert. Geräusch von Meer, auch Muschel Geräusch, Wasser, labala-Tanzen, (Leute) auch mit bunte Feder, Feder in Haare stecken oder mit Hawaikranz. Herrlich Getue, gibt auch Hotel, Paradieshotel. Gute Essen und Trinken, schöne Ort, nette Leute romantisch, auch sexy, auch Freundschaft. Freundschaft ist gut, ist wichtig Punkt.“


Ja, Punkt. Was auch sonst noch? Gute Essen und Trinken, schöne Ort; wenn’s richtig hoch kommt, noch ein Hotel mit Nachtigall-Gesumme und ein wenig herrliches Getue mit Hawaikranz. – Die Texte antworten übrigens darauf, wie das persönliche Paradies aussieht.

Und wo bleibt die Einsicht? Nun, ich stelle gerade fest, falls Archäologen des 10. Jahrtausends n. Chr. von unserer Kultur kein anderes Zeugnis hätten als Qype-Beiträge, müßten sie da nicht denken, sie blickten in ein verlorenes Paradies? Dessen wohlhabende, anspruchsvolle, gebildete und weitgereiste Bewohner schienen keine anderen Sorgen zu haben als höchstens mal pampigen Service, zu fettes Essen oder eine Erbse unter der Matratze. Ansonsten kultiviert man den kritischen Genießer und Shopper, trifft nette Leute beim labala-Tanzen, trinkt – romantisch, aber auch sexy – Rotwein bei Sonnenuntergang und lauscht dem Summen der Nachtigall. Herrlich, dieses Getue! Da, denkt der Zukunftsarchäologe, würde ich gern leben – auf den paradiesischen Qype Islands, im immerwährenden Paradies der wohl verdienten Mittagessen!

Diese Einsicht ist keine Kritik. Natürlich ist Qype kein Verbraucherportal für Landminen-Krüppel, AIDS-Patienten, Bürgerkriegsopfer und Hungernde, denen vermutlich selbst ein mit nur einem Stern bewertetes Essen noch schmecken würde. Paradies-Vorstellungen sind eben halt auch sehr relativ. Ich empfehle „Ohrenkuss“ Nr. 23/2009, „Paradies“.

Die liebenswürdigste, philosophischste, an Blaise Pascal und Lao-tse gemahnende Paradiesvorstellung formuliert für mich dies:

Nr. 3 (Text Mandy Kammeier):

„Ich lege mich auf den Sofa und schliesse mir die Augen zu singen. Singen ist Mein Paradis. Wenn ich mir die Augen öffnne lache ich über mich selbst weil mir das spas macht. In meinem Zimmer finde ich immer mein Pradedise.“

Auf dem Sofa die Augen schließen, singen, über sich selbst lachen, weil einem das Spaß macht: Wem dies das Paradies bedeutet, der gehört wahrlich schon zu den Erleuchteten…

1 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Danke fürs Übernehmen & recht herzliche Grüße! Kraska

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